Deutschlandtrend
Deutschlands Altersdurchschnitt liegt aktuell bei 44 Jahren. Quaschwitz befindet sich im Saale-Orla-Kreis, wo der Schnitt der 82.000 Einwohner bei 48 Jahren liegt. Viel höher als der Bundesdurchschnitt. Der Ort Quaschwitz dagegen ist absoluter Deutschlandtrend, beträgt der Altersdurchschnitt doch exakt 44 Jahre! An dieser Zahl wird klar, weshalb die permanente Fixierung auf die Großstädte völliger Unsinn ist. Denn München mit einem Schnitt von 41,5, Berlin mit 42,4 und Frankfurt mit 40,6 sind einfach viel zu jung für die Betrachtung der realen Verhältnisse. Quaschwitz ist die exakte Abbildung von Deutschland und deshalb muss ab jetzt der mediale Fokus auf Quaschwitz liegen!
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Das Zukunftsrezept
Ganz Deutschland klagt über einen Mangel an qualifiziertem Nachwuchs. Allein im Handwerk fehlen pro Jahr 20.000 Lehrlinge. Das leuchtende Vorbild einer erfolgreichen Nachwuchsgewinnung wohnt in Quaschwitz. Der hier lebende Revierförster hat vier Kinder. Und was wollen die werden? Revierförster! Welche Schlussfolgerungen könnte das Handwerk daraus ziehen? 1. Man könnte den erfolgreichen Quaschtzer Nachwuchsgenerierer zum Handwerker umschulen. Dann wieder seine Methode angewandt, gäbe schwupps vier Handwerker mehr. Oder 2. Sein Erfolgsmodell kopieren. Dies gepaart mit der Pflicht zur 4-Kind-Familie würde in spätestens 18 Jahren zu einer Handwerkerschwemme in Deutschland führen. An welchen Berufen gibt es aktuell noch Bedarf?
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Wohltat
Im Alter nimmt die Gehirnmasse leicht ab, Gehirn und Nervenzellen sterben ab. Die Kapazität des Arbeitsgedächtnisses verringert sich, die Geschwindigkeit der Informationsverarbeitung geht zurück, Aufmerksamkeit und Konzentrationsfähigkeit sinken. Es wird deshalb schwieriger, sich an kurzfristig Gelerntes zu erinnern. Auf diesen Erkenntnissen aufbauend, wurde der öffentliche Nahverkehr für Quaschwitz konzipiert. Bis auf den Schulbus fährt in der Woche kein Bus regelmäßig. Das kann man sich leicht merken. Um das Gedächtnis der Alten etwas auf Trab zu halten, gibt es Ausnahmen. Deshalb wurde als Höhepunkt der Woche montags und donnerstags ein Busverkehr eingerichtet. Weil auch dies regelmäßig geschieht, ist die öffentliche Nahverkehrs-Regelung in Quaschwitz für ältere Gehirne eine echte Wohltat. Und dank des öffentlichen Nahverkehrs wissen schon heute alle Quaschtzer, dass sie hier hirntechnisch und verkehrsmäßig gesehen auf jeden Fall altersgerecht leben können.
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Schwein gehabt!
Im Mittelalter erhielten die Verlierer beim Schützenfest als Trostpreis ein lebendes Ferkel. Deshalb bedeutet das Sprichwort: »Schwein gehabt« Glück. Zu DDR-Zeiten wabberte durch Quaschwitz regelmäßig der Güllegeruch von fast 200.000 Schweinen. Die Tiere standen in der nahe gelegenen Weiraer Mastanlage. Von »Schwein gehabt« konnten die Geruchsgeplagten damals in doppelter Hinsicht nicht sprechen. War die Existenz der Borstentiere erstens kein Glück und zweitens auch keine Vergangenheit, sondern Präsenz im Präsens. Glücklich waren die Quaschtzer also nicht. Das änderte sich, als die Schweinezucht verschwand. »Schwein gehabt« können die Dorfbewohner in Umkehrung des geflügelten Wortes deshalb heute erst sagen. Und damit stimmt endlich auch die grammatikalisch richtige Zuschreibung des »Schwein gehabt« -habens in Bezug auf das Präteritum und ja, auch endlich in der Verbindung zum Glück.
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Evolutionsnachhilfe
Der Mensch ist nicht zum Dauersprecher bestimmt. Evolutionstechnisch gesehen, ist der dafür nötige Kehlkopf nämlich weniger zum Sprechen, als zum Schutz der Lunge da. Wissenschaftler mutmaßen, dass die Stimme ursprünglich darauf angelegt war, Aggressionen zu zeigen, um gefährliche Feinde abzuwehren. Dass wir heute mit der Stimme vor allem kommunizieren, ist wohl eine verhältnismäßig neue Errungenschaft. Mit diesem Wissen kann man sich verständnisvoll dem Verhalten der Quaschtzer Hunden nähern. Nicht wenige sind aggressiv und wollen durch lautes Bellen alles, was feindlich erscheint, abwehren. Und das ist jeder Mensch, jedes Tier, jedes Auto. Sprachtherapeuten wissen, dass man den Kehlkopf trainieren kann. Was bei Menschen geht, muss auch bei Hunden klappen. Wenn die Quaschtzer ihren Vierbeinern jetzt beim Erlernen des Sprechens helfen würden, würden die Wachhunde in Zukunft mit allem was sich bewegt, erst mal in Ruhe und friedlich kommunizieren.
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Baum frisst Schild. Aus Hass.
Über 15 Jahre hinweg wurden 1607 Hektar Wald durch die von den Menschen errichtete Schweinemastanlage vernichtet. Der dichte Fichtenwald musste nicht nur der Errichtung der Ställe weichen, er wurde auch durch den aus der Gülle austretenden gasförmigen Ammoniak zerstört. Die Bäume wurden braun, verloren ihre Nadeln, wurden morsch, Stürme und Borkenkäfer taten ihr übriges. Kein Wunder, dass die Bäume jetzt zurückschlagen. Nicht nur das Ortseingangsschild von Quaschwitz wird aktuell von einem Baum aufgefressen, auch das daneben liegende Haus. Langsam arbeitet sich die Natur durch den Ort voran. Wie lange es dauern wird, bis ganz Quaschwitz verdaut ist, kann derzeit noch nicht abgeschätzt werden.
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Baum frisst Schild. Aus Liebe.
Über Jahrzehnte hinweg wurden 1607 Hektar Wald durch die von den Menschen errichtete Schweinemastanlage vernichtet. Der dichte Fichtenwald war tot. Seit dem Aus der Anlage haben viele Quaschtzer ihre einst von der DDR enteigneten Waldgrundstücke zurückbekommen. Gemeinsam mit anderen Waldbesitzern haben sie eine Forstgemeinschaft gegründet. Seitdem wurden dort mehr als eine Million Fichten, Eichen, Buchen, Erlen, Weißtannen, Lärchen und Eschen gepflanzt. Kein Wunder, dass die Bäume die Quaschtzer zum Fressen gern haben. Um aber das lebendige Objekt der Liebe, die dort lebenden Menschen, nicht zu beschädigen, haben die Bäume ihre Zuneigung auf ein dingliches Objekt verschoben. Eben auf das Quaschwitzer Ortseingangsschild.
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Schmerzgrenze
Es gibt Berichte von Glöcknern, dass die Vibrationen läutender Glocken ihre inneren Organe erzittern lassen. Und wenigstens in der Literatur wurde der Glöckner von Notre-Dame durch das laute Glockengeläut taub. Von solcherart massiven Auswirkungen des Glockengeläutes wird in Quaschwitz nicht berichtet. Doch was man von der dortigen Glocke auch kennt, ist eine über der Schmerzschwelle liegende Lautstärke von mehr als 100 Dezibel. Um das ohrenbetäubende Geläut nur kurzzeitig ertragen zu müssen, wechseln sich fünf Familien beim Läuten ab. Zusätzlich hängt für sie im Turm ein Gehörschutz. Seit einigen Jahren sind Kopfhörer weltweit ein Statussymbol. Sollten die Quaschtzer Glöckner auch hier das Erreichen einer Schmerzgrenze anstreben, wäre eine preisliche möglich: Bose, Beats, ja sogar Louis Vuitton sind im Angebot. Die Luxusteilchen benötigen zur Aufbewahrung aber etwas Besseres als eine schnöde Plastikbox. Aber wäre der Kirchturm für solch kostbaren Inhalt noch standesgemäß? Muss da nicht ein Dom her? Es fängt eben immer alles im Kleinen an.
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Stallbau-Architektur
In der Geschichte der spektakulären Architekturbauten ist der Stallbau definitiv unterrepräsentiert. Dabei dürfte es weltweit mehr Ställe als Kirchen, Theater und Museen zusammen geben. Unterschiedliche Stallentwürfe der Vergangenheit kann man in Quaschwitz und im benachbarten Weira betrachten. Wie die Nachwelt diese architektonischen Entwürfe bewertet, wird an der Nachnutzung klar. Die früheren Schweineställe der Weiraer Mastanlage werden heute zur Lagerung von Plastikmüll genutzt, der einst von Kühen, Bullen und Schweinen bevölkerte Kreuzgang in Quaschwitz wird heute von Menschen bewohnt.
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Innovations-TV
Viele Höfe in Quaschwitz haben einen Traktor. Sie stehen gut versteckt hinter Hoftüren. Trotzdem weiß jeder, wer welchen Traktor hat. Auch wenn man sich bei Bedarf gegenseitig hilft, sagen die Quaschtzer: »Einen Traktor leiht man nicht. Das ist wie mit den Frauen.« Diese Weisheit sollte dem Sender RTL2 mal zugetragen werden. Das wäre schon deshalb eine gute Tat, weil deren Sendung »Frauentausch« die Gefühle vieler Beteiligter verletzt und einzig hässliche Schadenfreude bei den Zuschauern zutage fördert. Die Redakteure könnten dann über andere Tauschvarianten nachdenken. Allerdings kommt die Variante »Traktortausch« auch nicht in Frage. Könnte sie doch die Gefühle der Quaschtzer verletzen. TV-Macher haben’s echt nicht leicht.
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Einheitsvollendung
»Hammer und Zirkel im Ährenkranz« waren das Staatswappen der DDR. Symbolisch für die Klasse der Arbeiter stand: Der Hammer, für die soziale Schicht der Intelligenz: Der Zirkel und für die Klasse der Bauern: Der Ährenkranz. Versinnbildlicht wurde so der »Arbeiter-und-Bauern-Staat« im Bündnis mit der »Intelligenz«. Das Ideal war deren Einheit. Während der DDR-Zeit waren die Quaschtzer fast ausschließlich Bauern. Seit der Wende arbeiten die Meisten im Handwerk. Sie gehören nun zur Arbeiterklasse. Da darf man gespannt sein, ob mit der Digitalisierung der nächste Wechsel, nämlich der zur Intelligenz gelingt. Noch hat kaum jemand im Ort schnelles Internet. Es ist zu teuer. Wenn es billiger werden würde, könnte das Ideal der DDR, die Einheit aller, hier Jahrzehnte nach dem Zusammenbruch der DDR dank Wende und Digitalisierung Wirklichkeit werden.
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Menschen-Mast
Der DDR war sehr an internationaler Anerkennung gelegen. Eine exzellente Möglichkeit war Sport. Dank Talentförderung und Doping gelang es der DDR sehr oft, die BRD sportlich zu schlagen. Ein Medaillenregen setzte ein. Noch unerforscht ist, welche subtilen Methoden zum Einsatz kamen. Eine davon war diese: 80% der Schweineproduktion nahe Quaschwitz wurden regelmäßig heimlich nachts in den Westen exportiert. Dort einst Beschäftigte erzählen, dass das Fleisch der gemästeten Schweine eigenartig geschmeckt habe und sie selber das nicht essen wollten. Womöglich hat die DDR über Fleischlieferungen versucht, die körperliche Konstitution der Bundesbürger zu schwächen. Dann wäre es auch kein Wunder mehr, weshalb ein finanzschwaches Land mit 18 Millionen Einwohnern ein finanzstarkes Land mit 60 Millionen Einwohnern im Sport derart dominierte. Und klar würde damit auch, weshalb die DDR-Regierung in ihrer letzten Kabinettssitzung, wenige Tage vor der Deutschen Einheit, die Stilllegung der Schweinezucht- und Mastanlage beschloss. Es ging wohl einfach nur um die Verhinderung der Aufdeckung dieser Menschen-Mast-Geheim-Aktion.
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Wetterbericht
Wer sich die Quaschtzer Wetterverhältnisse einmal genau betrachtet, dürfte in die große Meteorologenschelte einstimmen. Am 23. Februar sind morgens 7 Uhr prognostiziert: ein laues Lüftchen und – 2,5°C. Tatsächlich weht am oberen Ortseingang ein eisiger Wind bei – 4,5°C. Etwa 70 Meter unterhalb, am Teich in Quaschwitz herrscht Windstille bei – 3,5°C. Das heißt: An keinem Ort im Dorf stimmen die prognostizierten Wetterdaten. Deshalb wohl halten sich alle Quatschtzer noch Hühner. Denn die kennen die Wetterverhältnisse vor Ort ganz genau und treffen mit 50 % Sicherheit die richtige Prognose. Das ist Traditionstreue. Wussten doch schon die Alten: Wenn der Hahn kräht auf dem Mist, ändert sich das Wetter oder es bleibt, wie es ist.
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